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Standpunkt zur aktuellen Zuchtwertschätzung aus Sicht eines praktischen Landwirtes
Artikel gepostet am April 14, 2008, 04:04:45

Mit dem folgenden Artikel veröffentlichen wir einen Beitrag von Dr. Eckart Grünhagen aus Uelzen - Oldenstadt.
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Die Neuerungen, die bei der aktuellen Zuchtwertschätzung in das Schätzsystem eingeflossen sind, haben zu teilweise erheblichen Veränderungen geführt. Änderungen an der Zuchtwertschätzung sind immer dann sinnvoll, wenn sie dem Landwirt genauere Schätzwerte oder bessere Möglichkeiten zur Bullenauswahl an die Hand geben. Um es vorwegzunehmen: Einige Neuerungen erschweren die Auswahl der Anpaarungsbullen.

Die Einführung des neuen Töchterfruchtbarkeitsindexes RZR soll dem Milchviehhalter helfen, Bullen auszuwählen, deren Töchter eine bessere Fruchtbarkeit haben. Allerdings sollte sich immer vor Augen gehalten werden, dass die im RZR berücksichtigten Einzelmerkmale wie etwa Rastzeit oder Non-Return-Rate sehr, sehr geringe Erblichkeiten zwischen 1 und 3,9 % aufweisen, die kaum Zuchtfortschritte von Generation zu Generation erwarten lassen. Die Gewichtung dieses Fruchtbarkeitsindexes im neuen RZG mit 10 % erscheint mir deshalb zu hoch zu sein.

Die gravierendsten Neuerungen in der aktuellen Zuchtwertschätzung betreffen das Exterieur. Der Fundamentindex enthält nun ein zusätzliches Merkmal ('Bewegung'), so dass die Gewichtung der verbleibenden vier Fundamentmerkmale im Index angepasst werden musste. Da das Merkmal 'Bewegung' oder auch 'Sprunggelenksqualität' nicht in allen Ländern bewertet wird, werden Interbull-Zuchtwerte unter Zuhilfenahme von korrelierten Merkmalen interpoliert. Dies führt dazu, dass sich die Streuung der Zuchtwerte in den interpolierten Merkmalen verringert. Leider hat das VIT diesen Sachverhalt bei der ersten Veröffentlichung der aktuellen Interbullzuchtwerte auf deutscher Basis nicht berücksichtigt. Folglich mussten diese Zuchtwerte korrigiert werden.

Zusammen mit dem Zuchtwert für die Fundamentnote trägt der neue Fundamentindex zum Fundament-Zuchtwert bei, der im neuen RZE zu lasten des Milchtyp-Zuchtwertes mehr Gewicht erhält. Er ersetzt außerdem im neuen RZG zu gleichen Teilen mit dem Euter-Zuchtwert den alten RZE.

Die Zusammensetzung des neuen RZE wurde grundlegend geändert. Die Änderungen beruhen auf wissenschaftlichen Untersuchungen der Universität Halle.

In diesen Untersuchungen wurde u.a. festgestellt (LINK: http://www.holstein-dhv.de/deutsch/aktuell/mvtaet.pdf, S.14), dass das deutsche Exterieur-Datenmaterial nur sehr begrenzt für Auswertungen genutzt werden kann (nur drei Verbände leisten in der Exterieurbeurteilung eine voll zufrieden stellende Arbeit), da es teilweise offensichtliche Fehlleistungen der Einstufer oder eine schlechte Skalenausnutzung der Bewertungsnoten durch die Klassifizierer gibt. Im Tätigkeitsbericht des DHVs von 2005 (LINK: http://www.holstein-dhv.de/deutsch/aktuell/mvtaet.pdf, S. 9) wurde ebenfalls festgestellt, dass die Ergebnisse einiger Klassifizierer sehr unbefriedigend seien. Außerdem wirft das Verhältnis von eingestuften Testbullen-Töchtern zu eingestuften Vergleichstieren kein gutes Licht auf die Qualität deutscher Exterieurzuchtwerte (LINK: http://www.holstein-dhv.de/deutsch/aktuell/mvtaet.pdf, S.4). Auf jede eingestufte Testbullen-Tochter kommen 2005 im Durchschnitt nur 1,14 eingestufte Vergleichstiere.

Die wissenschaftlichen Untersuchungen setzten die einzelnen Exterieurmerkmale in Beziehung zur Nutzungsdauer. Die Ergebnisse mündeten in der Kappung bei der Berücksichtigung der Zuchtwerte für Größe, Körpertiefe und Stärke ab 112 im Körper-Index. Bullen, die in diesen Merkmalen Zuchtwerte von über 112 haben, werden nur noch mit 112 bei der Körper-Index-Berechnung berücksichtigt, so dass Bullen beispielsweise mit 136 in diesen Merkmalen Bullen mit 112 gleichgestellt werden. Die Suche nach extrem vererbenden Bullen in diesen Merkmalen mit Hilfe des Körper-Zuchtwertes ist damit aussichtslos, was nicht im Sinne der Landwirte sein kann.

Die wissenschaftlichen Untersuchungen aus Halle mündeten auch in der Berücksichtigung von Strichplatzierung (vorne), Beckenneigung und Strichlänge als Optimalmerkmal mit einem Optimum von 100 bei der jeweiligen Teil-Index-Berechnung. Zuchtwerte von über oder unter 100 führen zu Abschlägen. Ähnlich wird neuerdings das Merkmal Hinterbeinwinkelung betrachtet. Allerdings liegt das Optimum hier bei 88 im steilen Bereich.

Der neue RZE ist durch die aktuellen Neuerungen, die auf der Beziehung zwischen Exterieur und Nutzungsdauer beruhen, neben dem RZN zu einem zweiten Schätzwert für Nutzungsdauer geworden. Die Wahl eines passenden Anpaarungsbullens wird durch die beschriebenen Kappungsgrenzen erschwert, weil die RZEs der Bullen weit enger beieinander liegen. Auch aus einem weiteren Grund sind die absoluten Unterschiede in den Exterieurzuchtwerten deutlich geringer geworden. Die Zuchtwerte werden aktuell auf die genetische Streuung standardisiert. Dies führt dazu, dass sich die Streuung der Zuchtwerte in den Exterieurmerkmalen zwischen 11 und 41 % deutlich verringert.

Der Vergleich der aktuellen Interbull-Zuchtwerte mit denen aus dem Januar offenbart ein weiteres Problem. Obwohl es mittlerweile nur einen Holstein-Verband in Deutschland gibt, werden rot- und schwarzbunte Holsteins in der Zuchtwertschätzung unverständlicherweise immer noch als unterschiedliche Rassen behandelt. Eine fehlerhafte (?) Codierung der Rasse bei den Interbulldaten führt etwa beim Zentralband zu einem Zuchtwertunterschied von 9 Punkten.

Bei den aktuellen Änderungen sollte man auch noch einen weiteren Aspekt im Hinterkopf haben: Wie wirken sich diese Neuerungen auf die Platzierung deutscher Bullen in den Toplisten anderer Länder aus? Vor diesem Hintergrund sollte man sich folgende Passage des DHV-Tätigkeitsberichtes von 2005 auf der Zunge zergehen lassen (LINK: http://www.holstein-dhv.de/deutsch/aktuell/mvtaet.pdf, S.8): "Deutschland (...) hat VIT beauftragt, für den Testlauf September 2006 einen RZE auf US-Basis zu entwickeln, der eine maximale Korrelation zum US-Final Score aufweist. Diese nicht optimale Vorgehensweise ist allerdings eine konsequente Anpassung an das US-Verhalten und wird zu einer besseren Rangierung deutscher Bullen auf US-Basis führen."

Eckart Grünhagen
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Zur Person:
Eckart Grünhagen ist praktizierender Landwirt und melkt ca. 100 Kühe mit einer Leistung von 10.500kg Milch. Während seines Landwirtschaftsstudiums hat er sich intensiv mit der Materie Zuchtwertschätzung auseinandergesetzt und auch anschließend in dieser Thematik promoviert. Eckart Grünhagen ist bereits seit einigen Jahren wissenschaftlicher Berater von Semex Deutschland und wir freuen uns besonders mit ihm einen Praktiker zu Wort kommen zu lassen, der die wissenschaftliche und äußerst komplexe Materie der Zuchtwertermittlung bestens beherscht.




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